23 August 2006

Spielregeln der Seele

Spielregeln im Reich der Seele

Manchmal verstehen wir die eigene Welt nicht mehr. Da starten Flugzeuge im Bauch, lange wir begreifen, dass es mit dem Flirt gefunkt hat.

Oder wir plaudern auf einer Party bei der neuen Bekanntschaft unsere tiefsten Geheimnisse aus, ohne auch nur eine Sekunde zu überlegen, ob sie all die Intimitäten für sich behalten wird.

Tut sie aber und eine neue gute Freundschaft entsteht. Zufall? Im Gegenteil. Psychologen und Hirn forscher sind dem Geheimnis näher gekommen, wie unsere innere Stimme uns heimlich lotst.

Lange galt das Unterbewusstsein als unerforschtes und unerreichbares Abenteuerland. Als unsichtbarer Regisseur in unserem Leben, gegen dessen Anweisungen wir scheinbar vollkommen machtlos sind.

Wissenschaftler haben nun entdeckt, wo das faszinierende Reich der Seele liegt und welche Spielregeln dort herrschen.

Im limbischen System, dem Zentrum unserer Gefühle, sitzt die mächtigste Kommandozentrale im menschlichen Gehirn, eine rasante Datenautobahn. Eindrücke, Gefühle und Stimmungen werden hier zehnmal so schnell verarbeitet wie im Frontalhirn, dem Refugium unseres Verstandes.

Dem nach ist das Unterbewusstsein nicht nur ein unverzichtbarer Kompass, um in der täglichen Flut von Informationen und Eindrücken Wichtiges herauszufiltern und das Unwichtige abzuhaken.


Die Schaltzentrale im Kopf liefert eben auch die Handlungen für die großen Szenen im Leben. Mehr als 80 Prozent unserer Entscheidungen fallt das Unterbewusstsein, ohne dass wir es merken auf das wir uns aber meist sicher verlassen können.

"lm Unbewussten steckt Weisheit", sagt Gerd Gigerenzer, Psychologie - Professor am Max-Planck-lnstitut für Bildungsforschung in Berlin. Der Wissenschaftler hat in zahlreichen Studien unbewusste Entscheidungsprozesse erforscht.


Dafür legte er etwa Börsenlaien eine Liste mit Wertpapieren vor und ließ die Probanden allein nach den Namen der Aktien die Erfolg versprechendsten auswählen - ohne Zusatz - Informationen wie Börsenkurse oder Unternehmensperspektiven.

Aus den Favoriten schnürte der Wissenschaftler echte Aktienpakete. Das Ergebnis: Die von den Testpersonen intuitiv zusammengestellten Fonds waren an der Börse extrem erfolgreich und übertrafen nicht nur die Prognosen von Finanzgurus, sondern auch den Markt-Index.


Gigerenzers Erklärung: Gerade wenn Unmengen von Eindrücken auf uns einprasseln und schnelle Entscheidungen gefragt sind, checkt das Unter- Bewusstsein flugs einen gespeicherten Strichcode aus Erinnerungen und Erfahrungen durch.

Blitzschnell meldet es dann "Den Namen hast du schon einmal gehört" oder "Die Szene kennst du doch" und wählt die vertrauteste Lösung.

Wer sein Unterbewusstsein besser verstehen will, muss jedoch nicht nur auf die innere Stimme im Kopf hören, sondern auch auf das sprichwörtliche Bauchgefühl. Der Physiologe Emeran Mayer von der Universität Kalifornien hat im Körper eine Art "Zweigstelle" der Seele gefunden: Im "enterischen Nervensystem" speichern 100 Millionen Nervenzellen Erfahrungen, die wir im Laufe unseres Lebens sammeln.

Mayer geht deshalb von einem "Bauchgehirn" aus, das emotionale Prozesse körperlich fühlbar machen kann sei es durch Flugzeuge im Bauch beim Anblick des Liebsten oder das nervöse Magengrummeln beim Vorstellungsgespräch.

Neues aus dem Reich der Seele: Die unsichtbaren Mächte in uns lassen sich gezielt nutzen. Wer seine Handlungen und Verhaltensmuster beobachtet, die innere Stimme bewusst befragt, kann sich selbst nicht nur besser verstehen, sondern auch wichtige Entscheidungen leichter treffen und Probleme spielerischer lösen.

Um Kontakt zu seinem Unterbewusstsein aufzunehmen, muss man erst einmal am Türsteher vorbei: einem komplexen Netz aus selektiver Wahrnehmung. Im Alltag prasseln pro Sekunde Millionen von Informationen auf uns ein. Ein zarter Stoff auf der Haut, ein Werbeplakat, an dem wir vorbeigehen jeder Input rieselt durch ein ausgeklügeltes Wahrnehmungssraster,wird automatisch bewertet und ordentlich in Schubladen gelegt.

Leider wissen wir deshalb nicht einmal etwas von all den kostbaren Schätzen, die wir da sammeln. " Wir haben viele Eindrücke im Kopf, die uns nicht bewusst sind", sagt Professor Wolf Singer vom Max-Planck- Institut für Hirnforschung in Frankfurt. Eine direkte Eintrittskarte in diese verborgene Welt? Duftstoffe.


Sie lösen Stimmungen und Gefühle aus. "Eindrücke wie Farben oder Sprache werden vom Thalamus im Gehirn zur Gehirnrinde geleitet und dort gefiltert, analysiert und bewertet", sagt Professor Singer. "

Gerüche wirken dagegen direkt im limbischen System." Ob man nun am Aftershave des Liebsten schnuppert, Duftkerzen anzündet oder das Aroma von Omas frisch gebackenem Apfelkuchen, den man schon als Kind geliebt hat, einatmet:


Empfindet man diese Sinneseindrücke als etwas Positives, fahrt das Unterbewusstsein das Wohlfühlprogramm ab und sorgt für einen Glückshormoncocktail, der emotionale Höhenflüge beschert.

Auch mit Musik lässt sich gezielt auf das Unterbewusstsein wirken. In einer Studie ließen Psychologen der Universität Leicester in einem Supermarkt erst französische Lieder, dann bayerische Blasmusik laufen.


Beim ersten Test kauften die nichts ahnenden Kunden französischen Wein, beim zweiten Produkte aus Deutschland. Sinneseindrücke wecken offenbar bestimmte Assoziationen und Emotionen.

Düfte und Musik erfüllen zudem bestimmte Bedürfnisse etwa die, Erinnerungen aufleben zu lassen oder sich auf eine bestimmte Situation einzustimmen. Ergo: Heiße Salsa-Rhythmen sorgen für Vorfreude, wenn der Traumurlaub auf Kuba bevorsteht. Und Liebeskummer lässt sich mit den Klängen sanfter Balladen möglicherweise ein bisschen schneller heilen.

Probleme im Schlaf lösen

War für Sigmund Freud das Unterbewusstsein vor allem ein Sammelbecken verdrängter Ängste und Begierden, die im Traum manchmal an die Oberfläche brodeln, hat ein Team der Medizinischen Universität Lübeck im Unterbewusstsein eine nächtliche Problem- Lösungswerkstadt entdeckt.

Im Rahmen einer Studie stellten die Wissenschaftler 66 Testpersonen eine mathematische Aufgabe. Die Teilnehmer sollten eine versteckte Formel finden, mit deren Hilfe sich das Problem leichter lösen ließ. Kaum einer der Probanden knackte das Rätsel beim ersten Durchgang. Anschließend blieb eine Hälfte der Gruppe wach, die andere durfte acht Stunden schlafen.

Am nächsten Morgen hatten 60 Prozent der Schläfer des Rätsels Lösung gefunden, bei den Nicht- Schläfern kamen dagegen nur 23 Prozent auf die Lösungsformel. Das war aber keine Folge der Müdigkeit nach einer durchwachten Nacht: Auch eine andere Kontrollgruppe, die wie bei einem normalen Büroalltag mal morgens und mal abends rechnete, ohne dazwischen zu schlafen, hatte keinen Erfolg.

Wer tief schlummert, wacht offen bar schlauer wieder auf. Die nächtliche Reise gilt unter Gehirnforschern als Denken in einer anderen, subjektiver Wirklichkeit. Lässt der Verstand viele Erlebnisse tagsüber unverarbeitet, gelten nachts andere Spielregeln. Das Unterbewusstsein stöbert zur Verarbeitung nach Assoziationen, auf die der verstand nie gekommen wäre. Oder es holt Erinnerungen hervor und gleicht sie mit dem Problem ab. Auf diese Weise werden Lösungswege ausgekundschaftet.

Wie man Macht über die Nacht gewinnt? Zur aktiven Traumarbeit gehört, das Problem vor dem Einschlafen ins Gedächtnis zu rufen und das Traum-Ich mit der Lösung zu beauftragen. Wenn man zudem nach dem Aufwachen den Traum in einem Tagebuch notiert, trainiert man sein Erinnerungsvermögen und hat die Chance. die Bilder der Nacht zu interpretieren und daraus Schlüsse für sein Tagleben zu ziehen.

Verhaltensmuster umprogrammieren

Ob wir immer wieder an den Falschen geraten oder unsere Fitnessvorsätze regelmäßig nach kurzer Zeit einschlafen lassen: Verhaltensmuster und schlechte Angewohnheiten sind laut Forschern der amerikanischen Michigan-Universität in Ann Arbor deswegen so hartnäckig, weil sie im Unbewussten unter "Automatik" gespeichert sind.

In einer Studie lernten Testpersonen, auf bestimmte Stichwörter zu reagieren- zunächst sollten sie "Tasse" sagen, wenn Sie Kaffee sahen. Später wurde das Wort "Becher" vorgegeben.


Nach einem Tag tauchten in Gesprächen der Probanden beide Begriffe noch gleich oft auf. Später legte das Gedächtnis das Wort "Becher" zu den Akten, weil der Begriff Tasse zuerst gelernt und als korrekte Bezeichnung für das Gefäß abgespeichert wurde folglich setzt sich einmal Erlerntes dauerhaft im Unterbewusstsein festnervige Angewohnheiten und Macken bekommen wir deshalb trotz bester Vorsätze nicht mehr so leicht aus dem Kopf.

Um die alte Festplatte im Kopf doch zu über schreiben, muss man aktiv werden. Nicht das Gehirn, sondern der Körper wird eingespannt, um Verhaltensmuster umzuprogrammieren etwa indem man künftig am Wochenende immer zur gleichen Zeit in die Joggingschuhe schlüpft und losläuft, bis das Unterbewusste die Neuprogrammierung zum Reflex erklärt.


Denn das Unterbewusstsein speichert in den Basalganglien, dem Bewegungszentrum im Gehirn, das, was uns sprichwörtlich in "Fleisch und Blut" übergegangen ist.

"Wer an tiefer liegende Erkenntnisse aus dem Unterbewusstsein gelangen will, muss loslassen", sagt Professor Wolf Singer. Wenn die Gedanken fließen, werden verborgene Kraftreserven mobilisiert. Galt die meditative Reise ins „Ich“ lange als Hokuspokus aus der Esoterik Trickkiste, hat Stefan Jacobs von der Universität Göttingen jetzt nicht nur ihre stärkende, sondern sogar ihre schmerzstillende Wirkung belegt.

Neun Wochen lang hörten Schmerz patenten zweimal täglich eine Hypnose-Kassette. Auf dem Band waren Musik, Geräusche und Anleitungen zur Entspannung aufgenommen. Nach der Studie wurden die Schmerzen schwächer und der Einsatz von Medikamenten zu Dreiviertel unnötig.

Um in einen solchen Zustand der Selbsthypnose zu gelangen, braucht es gar nicht unbedingt technische Hilfsmittel. Will man die verborgenen Botschaften der Seele empfangen, reicht oft schon ein Ort, an dem man die Welt um sich herum ganz bewusst vergessen kann, etwa in der Natur.


Und 15 Minuten absolute Stille, um hineinzuhören, was die innere Stimme einem längst sagt.

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